John Quincy Adams, Werkschau John Quincy Adams, Bilder von John Quincy Adams

Henriette Zierer ca. 1905

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Bildbeschreibung s. unten


JQAW# P_1905_110
Öl auf Leinwand Abmessungen unbekannt
Signatur: John Q. Ɑdams
Werk verschollen
Abbild: Österreichs Illustrierte Zeitung Kunst Revue Heft 12 (1908) S.293

Henriette Zierer, geb. Wechsler, 21.2.1882 Jassy (Bukowina, heute: Iași RO) bis 15.7.1944 Auschwitz (Shoa).

Drei-viertel Portait in sitzender Stellung, Schrägansicht von links. Die Dargestellte sitzt in einem Club-Fauteuil, die Hände auf den Armlehnen ruhend, den Blick zum Betrachter gewandt. Das dunkle Haar ist hochgesteckt und mit einem Schmuckstück in Form einer Masche geziert. Sie trägt ein helles Kleid, dessen Brustsaum mit Metall-Appliken gesäumt und mit einer Blume (?) geziert ist, sowie eine weiße Federboa. In ihrer rechten Hand hält sie einen geschlossenen Fächer. Um den Hals trägt sie ein aufwendiges Perlen-Kropfband, das in der Mitte aus zahlreichen Billanten besteht. Hintergrund: ein angedeutetes Wohninterieur.

Henriette wurde 1882 in Jassy in der Bukowina (das heutige Iași in Rumänien an der Grenze zur Republik Moldau) geboren. Um ca. 1898 übersiedelte ihre Familie, die sich Wechsler Wohlmuth nannte, nach Wien.
Am 27.5.1903 heiratete Henriette im Wiener jüdischen Stadttempel Ernst Ludwig Zierer (1871-1923), den ältesten Sohn des Bankiers und Investors Wilhelm Zierer (1841-1929). Dieser hinterließ in Wien bleibende Spuren durch die Errichtung mehrerer repräsentativer Zins- und Wohnpalais, u.a. den Philipphof (zerstört), das Lauberhaus (Hoher Markt/Kärtnerstraße, zerstört) sowie das noch erhaltene Palais Zierer-Kranz in der Argentinierstraße (heute Russische Handelsvertretung), für dessen Ausstattung Ernst und Gustav Klimt sowie Tina Blau als Künstler arbeiteten. Wilhelm Zierer ist auch durch seine umfangreiche Kunstsammlung bekannt (die im Erbgang teilweise an seine Töchter Flora Berl und Lili Oppenheimer ging und aus der Provenienzforschung bekannt ist). Er war auch Förderer der Künstler der Wiener Sezession (v.a. von Carl Moll, der 1899 auch das luxuriöse Interieur des Ziererpalais malte). 1891 erwarb Wilhelm Zierer das neugotische Schloss Mikosdpuszta samt landwirtschaftlichen Großgrundbesitz nahe von Szombathely, einer Stadt an der heutigen Grenze Ungarn-Österreich.

Mikosdpuszta wurde zum Lebensmittelpunkt des neuvermählten Paares Henriette und Ernst Zierer, wo Ernst einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb (erster Betrieb Ungarns mit künstlicher Bewässerung) führte, über dessen Erfolge bei der Steigerung landwirtschaftlicher Erträge (vor allem von Kartoffeln) er oftmals in landwirtschaftlichen Fachgremien der Monarchie berichtete. Das Paar unterhielt aber auch einen Wohnsitz in Wien, wo die Kinder (Söhne Hubert und Hans sowie Tochter Elisabeth) zur Schule gingen und Henriette rege am Wiener gesellschaftlichen Leben teilnahm (so wurde über ihr Kleid, das sie beim Wiener Derby 1905 trug, in der Presse berichtet). Dieses Bestreben zur gesellschaftlichen Selbstdarstellung und wohl auch die Geburt des ersten Kindes (Hubert 1904) erklärt die Beauftragung Adams‘ für das Portrait. Während des Ersten Weltkriegs verlagerte sich der Wohnsitz der Familie zunehmend nach Mikosdpuszta. Angesichts der kriegsbedingten katastrophalen Versorgungslage Wiens wurden Kinderverschickungsprogramme ins Leben gerufen. Henriete öffnete ihr Heim in Mikospuszta für Gruppen von jeweils 20 Kindern, die erstmals wieder Erholung und ausreichend Nahrung vorfanden. Nach Ende des Ersten Weltkrieges optierte die Familie Zierer für die ungarische Staatsbürgerschaft. 1923 verstarb Henriette’s Mann Ernst erst 51-jährig in Wien. Henriette führte als Witwe den Betrieb in Mikospuszta weiter, die Kinder erhielten alle eine landwirtschaftliche Fachausbildung (auch Tochter Elisabeth absolvierte zusätzlich zu ihrem Dolmetschstudium eine Ausbildung in Viehzucht). Die Söhne Hubert und Hans (János) waren auch Mitbesitzer des Gutes.

Das Leben der Familie nahm 1938 mit dem Anschluss, d. h. der Auslöschung Österreichs und die Übernahme der Herrschaft durch die Nazis eine dramatische Wende. Henriette und ihre Kinder, ihre Schwester Marie sowie ihre Mutter Susanne suchten Zuflucht in Mikospuszta, wo sie auch unter der antisemitischen ungarischen Horthy (s. dessen Adams Portrait) Diktatur bis 1944 relativ unbehelligt lebten. Im März 1944 besetzten deutsche Truppen Ungarn und bereits im April begann die Ghettoisierung und Deportation ungarischer Juden. Die Familie Zierer wurde von der ungarischen Gestapo zuerst in ein Ghetto nach Szombathely verbracht, dort misshandelt und (wohl Anfang Juni) ins KZ Auschwitz deportiert. Henriette, ihre Schwester Marie und ihre Mutter Susanne wurden ermordet. Sohn Hans und Tochter Elisabeth für den „Tod durch Arbeit“ bestimmt. (Über Sohn Hubert liegen keine Quellen vor, er dürfte aber zum Zeitpunkt der Deportation nicht in Mikosdpuszta gewesen sein. Ihm gelang die Flucht in die USA, wo er 1989 verstarb). Sohn Hans starb kurz vor der Befreiung 1945 im KZ Buchenwald. Tochter Elisabeth gelang 1945 die Flucht aus dem Todesmarsch der KZ Evakuierung im Raum Dresden und wurde von amerikanischen Truppen gerettet, für die sie dann als Dolmetsch arbeitete (und dabei Henry Kissinger kennenlernte) und später in die USA emigrierte, wo sie 1993 in Kalifornien verstarb. 1986 berichtete sie über ihre traumatischen Erfahrungen in einem bewegenden oral history Projekt, das online abrufbar ist.

Das Portrait der Henriette Zierer illustriert wie wenige Werke des Künstlers Glanz und Tragödie Wiens und seiner Bewohner im 20. Jahrhundert. Es ist ganz in der Tradition des repräsentativen, großbürgerlichen Portraits, das Anleihen an die aristokratische Selbstdarstellung nimmt, inszeniert. Henriette sitzt in einem Clubfauteuil (der mehrmals in Adams Portraits im Zeitraum 1905-1908 Verwendung findet so z.B. auch im gleichgestalteten Portrait der Bertha Habig, s. Querverweise), trägt ein aufwendiges Kleid und ist zusätzlich mit einer weißen Federboa, Fächer und einem spektakulären Perlen-Brillianten Kropf-Halsband in Szene gesetzt. Das Portrait ist im Adams Atelier in Wien VII Burggasse 30 (bis 1908 in Verwendung, danach in Wien IV Theresianumgasse) entstanden und wurde auch im Wiener Künstlerhaus zur Jahreswende 1906/1907 ausgestellt (EL 50 1906/07 #2912) und auch durch einen schwarz/weiß lithographischen Druck dokumentiert und publiziert (Österreichs Illustrierte Zeitung Kunst Revue Heft 12 (1908) S.293). Das Bild ist verschollen und wurde wohl entweder nach der Deportation der Familie aus Mikosdpuszta geplündert oder spätestens 1945 bei der Besatzung durch russische Truppen (die das Schloss völlig devastierten) zerstört.

Ausgestellt

1906 Künstlerhaus Wien (EL 50 1906/07 #2912)

Literatur

APH Werksverzeichnis S.71 Kat.#40, Abb.#27.

Provenienz

ca. 1905-1944 die Dargestellte, Mikospuszta (HU).
Seither verschollen.

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