Baronin Harriet Freudenthal 1918
¾ Portrait in sitzender Stellung, die Beine übereinander geschlagen, die Hände auf dem Oberschenkel aufeinandergelegt, den Kopf nach rechts gewandt, den Blick in die Ferne gerichtet. Die Dargestellte trägt eine weiße Chiffonbluse, darüber ein hellblaues, ärmelloses Kleid mit tiefem Ausschnitt, links neben ihr ein Strohhut mit hellblauem Hutband, schwarzen Tragebändern und einem Rosenbouquet. Bildhintergrund: Parklandschaft mit einem mächtigen Baum, unter dessen Laub die Dargestellte unter einem wolkenverhangenen Himmel sitzt.
JQAW# P_1918_050
Öl auf Leinwand 111 x 87 cm
Signatur: John Quincy Ɑdams 1918
Bildinschrift links oben (von fremder Hand?): Harriet Baronin Freudenthal geb. Baronin Parish
Privatsammlung Europa
Harriet von Freudenthal, geb. Parish von Senftenberg, 26.9.1894 Heidelberg bis 7.10.1944 Wien.
Harriet wurde 1894 in die Familie der Freiherren Parish von Senftenberg geboren und hatte vier Geschwister (Marie-Helene „Maya“, George Marmaduke, Charles und Elisabeth „Siko“). Die Parish entstammen einem Hamburger Kaufmannsgeschlecht mit schottischen Wurzeln, die sich im 19. Jahrhundert mit dem Kauf der Herrschaft Senftenberg (Žamberk im Grenzgebiet der heutigen Tschechischen Republik zu Polen) in Böhmen ansiedelte. John Parish (1774-1858, 1816 zum Ritter und 1817 zum Freiherrn nobilitiert) errichtete in Senftenberg 1844 eine Sternwarte. Bekannt ist ferner die Tochter seines Bruders Richard, Harriet Parish, verh. von Chelius (1834-1864), einer begnadeten Pianistin, der Robert Schumann sein op.46 widmete, und die wohl als Namensgeberin von Harriet fungierte. Harriets Vater Oscar Parish (1864–1925) wurde 1899 in den österreichischen Freiherrenstand erhoben. Ihre Mutter Adelheid (1872-1962) war eine geborene Freiin (Baronin) Wiedersperg von Wiedersperg, deren Mutter wiederum aus dem böhmischen Adelsgeschlecht der Dobrzensky stammte. Harriet wuchs in Senftenberg und Wien auf, wurde privat und mehrsprachig (Tschechisch, Deutsch, Französisch) erzogen. Bereits früh erregten ihre Schönheit und Anmut öffentliche Interesse: Das Wiener Salonblatt veröffentlichte 1912 ein erstes Photo von Harriet (s. Querverweise).
1917 lernte Harriett bei einem Empfang im Schloss der Wiederspergs den Rittmeister der 15. Dragonerregimentes (eine Kavallerieeinheit) Rudolph Freiherr von Freudenthal (1886-1955) kennen, der nach einer schweren Kriegsverletzung an der Isonzo-Front und nach Krankheit dem k.u.k. Kriegsministerium in Wien zugeteilt war. Die Freudenthals stammen von Rudolf Graf Wrbna und Freudenthal (1813-1883) ab, der in herausragender Stellung dem Kaiserhaus diente (u.a. war er Generalintendant der Hoftheater, dem Burgtheater und der Hofoper) und u.a. mit dem Orden vom Goldenen Vlies ausgezeichnet wurde. Graf Rudolf Wrbna blieb zeitlebens unverheiratet, zeugte aber mit Maria Müller, einer außerehelichen Tochter des Fürsten Friedrich Schwarzenberg, einen Sohn Carl, den er 1876 legitimierte (als Sohn anerkannte) und der vom Kaiser in den Freiherrenstand erhoben wurde. Carl Freiherr von Freudenthal (1861-1941) ehelichte 1885 Agathe Gräfin von Wrbna und Freudenthal (1860-1921), die Tochter seines Cousins, und erwarb 1886 Herrschaft und Schloss Immendorf. Carl und Agathe hatten drei Kinder: Carl, Margueritte und Rudolf.
Rudolf und Harriet heirateten am 15.5.1918 im Wiener Stephansdom und nahmen Wohnsitz auf Schloss Immendorf, ein auf eine mittelalterliche Festung zurückgehendes, mehrmals umgebautes Wasserschloss (die Wassergräben wurden 1850 eingeebnet) mit vier mächtigen Ecktürmen, das sich durch die bei einem Brand 1945 zerstörten zahlreichen Kunstschätze (u.a. 16 Bilder von Gustav Klimt, s. Exkurs unten) für immer in die Kunstgeschichte eingeschrieben hat.
Die Ehe von Harriet und Rudolf war mit sieben Kindern gesegnet, die Harriets große Freude, aber durch den tragischen Tod von zweien, auch schweres Leid brachten und Vorboten von Harrietts frühzeitigen Tod (Diphtherie) waren. 1920 stirbt Harriets erstes Kind, Tochter Maria nach Komplikationen in der Schwangerschaft bei einer Frühgeburt. Harriet’s Leben wurde lediglich durch das Eingreifen von Prof. Willhelm Weibl (den Adams in seinem ikonischen Bild Die Operation 1909 neben Professor Wertheim dargestellt hat) und den Rudolf mit einem stundenlangen Parforceritt durch Wind und Regen aus Wien geholt hatte, gerettet. 1933 stirbt der erstgeborene neun-jährige Sohn und vorgesehene Erbe Rudi (Rudolf), der ein begeistertes Mitglied der Immendorfer Freiwilligen Feuerwehr war, nach einer unbedeutenden Verletzung an Wundstarrkrampf (Tetanus). Beide Schicksalsschläge verursachten bei Harriet schwere Depressionen. Diese erforderten langwierige psychiatrische Behandlungen und veränderten auch Harriets Charakter: Die Leichtigkeit des Seins einer von allen bewunderten, anmutigen Schönheit wichen einer Persönlichkeit, die mit einem straff organisierten Tagesablauf, diszipliniert ihren Aufgaben nachkam: Verwaltung des Haushaltes mit zahlreichen Dienstboten, Sorge für ihren Vater Oscar, der seine letzten Jahre auf Schloss Immendorf verbrachte, Arbeiten im von ihr angelegten großen Gemüse- und Blumengarten, und karitative Tätigkeit. Durch zahlreiche Hausbesuche und Spenden versuchte sie das schwere Leben der örtlichen Bevölkerung in wirtschaftlicher schwieriger Zeit (Hyperinflation, Wohnungs- und Lebensmittelmangel) zu lindern.
Wohl bei einem ihrer zahlreichen Besuche bei Armen steckte sich Harriet 1944 mit einer Infektionskrankheit an (Diphtherie) und musste in Wien im Spital behandelt werden. Bei einem der zahlreichen Luftangriffe wurden die Patienten in die Keller des Spitals verlagert und Harriet verstarb 50-jährig, nachdem die Belüftung der Kellerräume ausgefallen war. Ihr tragischer Tod sollte das Vorspiel weiterer Prüfungen der Familie sein die folgten: traumatische Erfahrungen durch deutsche und sowjetische Besatzungstruppen in den Endtagen des Zweiten Weltkrieges und schließlich der Verlust des Heims: ein Großbrand, vermutlich von abziehenden deutschen Einheiten gelegt, vernichtete Schloss Immendorf und die darin eingelagerten Kunstschätze. Der Brand begann am 8. Mai 1945, dem letzten Kriegstag, und wütete 4 Tage und Nächte lang. Danach war Schloss Immendorf eine Ruine, die in den 1950er Jahren abgetragen wurde und als Baustoff für den Wiederaufbau der Kriegszerstörungen und für ein neues Heim für die Familie Freudenthal diente. Die Lücke, die Harriets früher Tod gerissen hatte, konnte aber nicht wieder gefüllt werden.
Literaturhinweis: Ein bewegendes Bild der Familiengeschichte wurde von Harriets Enkelin Monique de Sinety in ihrer Erzählung Immendorf 2025 publiziert. Französisches Original bei Editions Sutton (März 2025) ISBN : 978-2-8138-2110-2 und in Deutscher Übersetzung (November 2025) als ISBN : 978-2-8138-2110-2 erschienen.
Exkurs: Schloss Immendorf, Rudolf und Harriet Freudenthal, und der größte Kunstverlust Österreichs im Zweiten Weltkrieg
Nachdem Österreich lange als „Luftschutzbunker“ des Deutschen Reiches gegolten hatte (nicht von den Alliierten bombardiert wurde/werden konnte) änderte sich die Lage 1943 mit der Alliierten Invasion Italiens. Nunmehr waren auch Ziele in Österreich in Reichweite alliierter Bomber. Um die in Museen gelagerten Kunstschätze zu sichern, begann die Auslagerung der Kunstschätze. Hierbei wurden einerseits bombensichere Sicherungsorte (Salzbergwerke in Ischl und Altaussee) ausgewählt, andererseits aber auch sogenannte Bergungsorte wie Schlösser, Klöster oder Kirchen ausgesucht, deren periphere Lage Schutz vor Bombenangriffen versprachen. Als Risikostreuung wurden Objekte weit gestreut eingelagert. Allein in Niederösterreich gab es rund 200 Bergungsorte, davon rund 80 im Umkreis von Wien.
Bereits 1942 willigten Rudolf und Harriet ein, Schloss Immendorf als „Bergungsort“ gegen eine minimale, symbolische Miete (40 Reichsmark pro Monat) zur Verfügung zu stellen (als Alternativen drohten Zwangseinquartierung von Flüchtlingen oder von Truppen). Es ist bemerkenswert, dass ein Großteil der Korrespondenz mit den staatlichen Stellen von Harriet durchgeführt wurde, wie Archivquellen belegen, die in der 2025 MAK Ausstellung zu Immendorf gezeigt wurden.
Schon 1942 wurden erste Bestände (die beschlagnahmte Kunstsammlung des polnischen Grafen Lanckoronski) im Schloss eingelagert (1943 aber nach Schloss Thürnthal verlagert). Im März 1943, nach dem Ende der in der Sezession abgehaltenen Klimt Gedächtnisausstellung, wurden 16 Klimt Gemälde, großteils aus der beschlagnahmten Sammlung der Familie Lederer, nach Immendorf verbracht. Unter diesen Klimt Werken befanden sich auch die berühmten drei Fakultätsbilder, die Klimt im Auftrag des Kultusministeriums für den Festsaal der Wiener Universität geschaffen hat: Philosophie und Jurisprudenz (Sammlung Lederer) und Medizin (seit 1919 in der Modernen Galerie, Belvedere) sowie Studien dazu. (Das vierte, sehr konventionelle, Fakultätsbild, die Theologie, wurde von Franz Matsch gemalt und hat sich erhalten.) Die Klimt Bilder erfuhren bei der Erstausstellung heftige Ablehnung vor allem von Universitätsmitgliedern und lösten einen Skandal aus. Klimt zog die Werke zurück und gab sein (bereits verbrauchtes) Honorar ans Ministerium zurück (die Rückzahlung wurde von der Familie Lederer finanziert). Neben den Klimt Werken waren auch Bilder von Ernst Klimt und Egon Schiele eingelagert. Im November-Dezember 1943 folgte ein umfangreicher Bestand aus dem Kunstgewerbemuseum (das heutige MAK), der antike Kachelöfen, Zimmereinrichtungen, Möbel, Teppiche und zahlreiche Kunstobjekte umfasste. Schloss Immendorf war also bis auf die wenigen verbliebenen Privaträume der Familie randvoll mit unschätzbaren Kunstwerken angefüllt. (Kunstexperten schätzen [nach heutigen, astronomischen Marktpreisen] allein den Wert der eingelagerten Klimt Bilder auf bis zu 4 Milliarden Euro.)
Anfang 1945 zeichnete sich bereits die Niederlage Nazi-Deutschlands ab. Wien wurde am 12. März Opfer des schwersten Bombenangriffes (ein anderer führte 1944 indirekt zum Tod Harriets), der u.a. die Staatsoper, die Albertina, das Kunsthistorische Museum und die Hofburg stark beschädigte und die Rote Armee überquerten die Grenze zu Ungarn. Rudolf schickte die Kinder (nach der Vergewaltigung einer seiner Töchter durch deutsche Soldaten) zu Verwandten, der Familie van der Straten, im abgelegenen Schloss Weinern, hielt aber weiterhin die Stellung im Schloss. Eine von örtlichen Nazi-Bonzen organisierte Feier zu Führers Geburtstag am 20. April vor dem Schloss wurde von der Roten Armee beobachtet und veranlasste sie, kleinere Bomben aus Leichtflugzeugen abzuwerfen. Dies führte zwar nicht zu großen baulichen Schäden, aber alle Fensterscheiben gingen zu Bruch. Zur Sicherung der Kunstschätze wurden die Fenster im Auftrag der Zentralstelle für Denkmalschutz mit Blech verschlossen (was sich später beim Brand als fatal herausstellen sollte).
Anfang Mai 1945 wurde das Schloss von zurückweichenden SA-Einheiten der Division Feldherrnhalle besetzt. Rudolf wurde befohlen, das Schloss zu verlassen und er verließ Immendorf in der Nacht von 5. auf den 6. Mai 1945. Die deutschen Einheiten rückten am Morgen des 8. Mai, dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkrieges ab, und Truppen der Roten Armee besetzten das Schloss am Nachmittag desselben Tages. Gegen 18 Uhr brach im südwestlichen Turm des Schlosses ein Brand aus, der sich rasch ausbreitete. Die russischen Soldaten flüchteten. Am Morgen des 9. Mai 1945 schien der Brand erloschen zu sein. Allerdings flammte in der Früh des 10. Mai 1945 im zweiten Stock des Schlosses erneut Feuer auf, das auf die Räume im ersten Stock und im Parterre übergriff. Bis zum nächsten Tag war das ganze Gebäude ausgebrannt. Vom Schloss standen nur mehr die Mauern, im Inneren lag meterhoch der Schutt. Das Feuer ist wohl gezielt durch Brandsätze der abziehenden SA-Einheiten gelegt worden. Eine Beteiligung sowjetischer Truppen am Brand ist als ziemlich unwahrscheinlich auszuschließen.
Fazit ist, dass der Brand alle Kunstwerke vernichtet hat, auch wenn es Spekulationen gibt, dass vielleicht einzelne Werke von abziehenden Truppen oder örtlichen Plünderern entwendet werden hätten können. Das Zeitfenster 6.-7. Mai und 9. Mai, wo das Schloss unbeaufsichtigt war, war aber kurz, die Kunstobjekte waren großteils extrem groß, und alle vor Ort hatten gewiss existentiellere Sorgen als sich um Kunstikonen zu kümmern. Kein einziges der bekannten eingelagerten Objekte ist in den 80 Jahren, die seither vergangen sind, je wieder aufgetaucht, was wohl deren unwiederbringlichen Verlust endgültig macht. Immendorf steht für den größten Kunstverlust Österreichs im Zweiten Weltkrieg. Auch ein Adams Hauptwerk, das Portrait seiner Gattin Steffy aus 1906 aus dem Bestand des Belvedere Museums, ging 1945 bei der Auslagerung in Schloss Kirchstätten verlustig.
Ausgestellt
Literatur
Provenienz
Bis 1944/45 die Eltern und Geschwister der Dargestellten, Schloss Senftenberg (Žamberk CZ).
1945 verstaatlicht.
Zu unbekanntem Zeitpunkt auf Schloss Opočno (CZ) verbracht,
Opočno Inv.Nr. OP02374/001.
Nach 1990 an die Familiennachfahren restituiert,
Privatsammlung Europa.
