John Quincy Adams, Werkschau John Quincy Adams, Bilder von John Quincy Adams

Lilly Berger 1907

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Ganzkörperportrait stehend, den Kopf leicht geneigt, den Betrachter anblickend. Die Dargestellte ist bis auf einen durchsichtigen, schwarzen Schleier nackt und posiert vor einem reichen Interieur: Marmorkamin mit Dekorationsobjekten (Silberpokal, Holzmaske in getrockneten Blumenkranz, Porzellan) und einem auf einem Stuhl drapierten weißen Kaftan, darauf eine Glasvase mit schlankem Hals.

JQAW# P_1907_050
Öl auf Leinwand 185 x 140 cm
Signatur: John Quincy Ɑdams. 197 (0 und 7 übereinandergemalt)
Hungarian National Gallery Budapest Inv.#299.B

Lilly (Lydia) Berger, 18.2.1883 Wien bis ca. 29.4.1942 Lublin/Sobibor (Shoa); auch Lydia Hernfeld (Herrnfeld), nach 1924 Lydia Roth; Solotänzerin an der Wiener Hofoper und viel portraitierte Wiener Schönheit.
Tochter des Samuel Hernfeld (Herrnfeld) (1843-1925) und der Josefine H., geb. Mandel, wiederverh. Berger (1855-1905). Aus der ersten Ehe 5 Kinder (Lydia und vier Brüder). Die Eltern werden 1889 geschieden (in der Monarchie war eine Scheidung für Katholiken de facto unmöglich, eine Einschränkung, die aber nicht für andere Religionszugehörigkeiten wie Protestanten und Juden galt). Die Mutter verheiratet sich wieder mit Jakob Berger (1849-1903), aus dieser 2. Ehe drei Kinder: ein Halbbruder sowie die Halbschwestern Olga B., verh. Dirsztay de Dirsztay (1883-1962), und Emma B., verh. Kühtreiber (1885-1917).

Lydia, die den Künstlernamen Berger annimmt, Olga und Emma besuchen die Ballettschule der Hofoper und werden ins Ensemble aufgenommen: Olga 1899, Lydia und Emma 1901 (dokumentierte Auftritte Emma's erst ab 1908). Sie werden als "Berger Madln" bekannt und wegen ihrer „Schönheit, Grazie und Wiener Charme“ (Riki Raab, Hist. Jahrbuch Wien 1972, S. 203) beliebt und sehr populär. Im Zeitraum 1901-1911 wirkte Lydia Berger bei fast 1000 Vorstellungen an der Wiener Hofoper mit u.a. in den Opern Carmen (G. Bizet), Fledermaus (J. Strauss), und Lakmé (L. Delibes), und in den Balletten Aschenbrödel (J. Strauss) , Coppelia (L. Delibes), Excelsior (R. Marenco), und der Faule Hans (O. Nebdal), unter vielen weiteren (s. dazu das Archiv der Wiener Staatsoper).
Künstlerische Differenzen (Lydia findet die Ballettausrichtung der Hofoper als zu konservativ) führen 1911 zu einer aufsehenerregenden kurzfristigen Arbeitsniederlegung (eine Zeitung -Das Interessante Blatt 9.11.1911 S.22- schreibt von einem „Streik“). In Folge dessen verlassen Olga und Lydia die Hofoper. Lydia hat eine kurze zweite Karriere im Ausdruckstanz bei Auftritten in Deutschland, wo sie mit der (ebenfalls aus der Hofoper ausgetretenen) Grete Wiesenthal in Hugo von Hoffmannthal’s Amor und Psyche 1911 in Berlin auftritt, aber verfolgt diese Karriere nicht weiter und lebt ab 1912 als wohlversorgte Private und Hofoper-Pensionistin in Wien. Olga verehelicht sich 1911 mit dem Baron Franz Jacob Dirsztay de Dirsztay und führt einen großbürgerlichen Haushalt in Wien. Sie überlebt die Nazizeit im Exil bei ihrer Tochter in London und kehrt um 1960 nach Wien zurück, wo sie alsbald (1962) verstarb (Riki Raab, Hist. Jahrbuch Wien 1972, S. 203). Emma verlies die Hofoper 1913, um sich mit dem Maler Albert Conrad Kühtreiber (später unter seinem Künstlernamen Albert Paris Gütersloh bekannt) zu verehelichen. Sie verstarb 1917 jung aufgrund von Komplikationen nach der Geburt ihrer Tochter (1915).

Wohl bereits um 1911/1912 ging Lilly Berger eine Beziehung mit dem verheirateten Industriellen Emil Roth ein (1868-1954). Dieser war zusammen mit seinem Bruder Karl Roth (1867-1930) (die Brüder waren schlussendlich verfeindet), Erbe und Gesellschafter der von ihrem Vater Georg (Georges) Roth („Kapselroth“ 1834-1903) gegründeten Firma, die eine Maschinenfabrik samt Stahlwerk und Eisengießerei in Wien Landstraße und auch eine Munitionsfabrik in Lichtenwörth, Niederösterreich betrieb. Bereits um 1910 und speziell während des Ersten Weltkrieges war die Firma Roth die größte Munitionsfabrik in Europa mit 1914-18 bis zu 15,000 Mitarbeitern. Nach dem Kriege gelang die Konversion zu Zivilprodukten nicht, und die Firma ging 1927 in Ausgleich und 1929 in Liquidation. Trotz dieses Niederganges verblieb aber noch beträchtliches Vermögen, u.a. eine schlossartige Villa am Grundelsee (in der Nazizeit von der Familie Josef Goebbels als Privatresidenz benutzt). 1916 gebar Lilly einen gemeinsamen Sohn: Georg Roth. Nach dem Tode der Gattin Emil Roths im Jahre 1917, gibt es dennoch keine Quellen, die eine Heirat des Emil Roths mit Lilly Berger belegen. 1924 nimmt Lydia Berger/Hernfeld mit Bewilligung des Magistrats Wien den Namen Roth an.
1912 erwirbt Lilly Berger eine feudale Villa in Neuwaldegg (Artariagasse 5), die heute noch besteht. 1913 erwarb sie ein anliegendes großes Grundstück (heute mit Gemeindebauten bebaut). Im selben Jahr beeinsprucht Sie die Einkommensteuererklärung des Finanzamtes und es kommt zu einer öffentlichen Verhandlung, wo ihre finanzielle Gebarung als sehr vermögende Frau offenkundig wird. Das Finanzamt schätzt ihr Vermögen auf 300,000 Kronen, sowie das jährliche Einkommen auf 13,600 Kronen, davon 12,000 Kronen Einkommen aus Vermögen und 1,600 Kronen Pension der Hofoper. (In ihrer aktiven Zeit als Solotänzerin und Mimikerin der Hofoper belief sich ihr Gehalt auf 3,600 Kronen jährlich, Riki Raab, 1972, S. 203.) Besonders kontrovers im Steuerverfahren war ihr Besitz eines Elektro-Automobils, womit Lilly Berger eine frühe weibliche Automobilpionierin war, was von der Steuerbehörde als Zeichen ihrer „gehobenen Lebensführung“ ausgelegt wurde. Lillys Einspruch der Steuervorschreibung wurde nicht nachgegeben (Neues Wiener Tagblatt 10.4.1913, S. 17). Ihr Vermögen, das sich auf das rund 10-Fache ihres Gesamteinkommens ihrer gesamten Karriere an der Hofoper belief, deutet auf Zuwendungen Dritter hin (wohl durch Emil Roth).

Trotz der Nachkriegsinflation kann also Lilly Berger als wohlsituiert angesehen werden, was ihr tragisches Schicksal als Shoa Opfer umso rätselhafter macht. Offensichtlich verabsäumt sie es, sich 1938 ins Exil in Sicherheit zu bringen (zum Beispiel zu ihrer Schwester in London). 1939 trifft sie ein schwerer Schicksalsschlag. Ihr Sohn Dr. Georg Roth begeht am 5.9.1939 zusammen mit seiner Verlobten Trude „Notschi“ Kuntner in der Roth Villa am Grundelsee einen spektakulären Doppel-Selbstmord wohl aus Verzweiflung über die rassische Verfolgung, die er wegen seiner jüdischen Mutter Lydia (die aber bereits 1901 aus dem Judentum ausgetreten war) ausgesetzt war.
Lydia/Lilly Roth wurde im Frühjahr 1942 auf der Straße verhaftet (ob durch Zufall oder nach Denunziation ist unbekannt) und am 27.4.1942 nach Ibica deportiert. Ihr Zug kommt am 29.4.1942 in Wlodawa, 7 km vom KZ Sobibor entfernt, an. Dort wird sie kurz danach ermordet (s. ihren Eintrag in der Datenbank des Yad Vashem).

Das Portrait Lilly Berger’s besticht sowohl durch die Gewagtheit der Darstellung, die mehr ent- als verhüllt, die Prominenz der Dargestellten, sowie der formal gelungenen Darstellung, die den de-facto Akt einem überreichem prunkvollem Interieur (Adams Atelier in der Theresianumgasse 5) gegenüber stellt. Das Bild wurde in der Herbstausstellung des Künstlerhauses 1907 (KH EL Vol.51 #3464) ausgestellt und überraschenderweise nur in einer einzigen Zeitungsnotiz kurz erwähnt. Der Vertrauenspreis (Preisvorstellung des Künstlers) betrug stolze 12,000 Kronen. Das Bild wurde bei der Ausstellung auch verkauft. Es wurde wohl direkt von Graf Dénes Andrássy (1835-1913) oder über einen Mittelsmann für seine Kunstsammlung erworben und in seinem Privatmuseum auf Burg Krásna Hôrka (heute SK)) ausgestellt. Per testamentarischer Verfügung gelangte das Bild mit der Sammlung bedeutender zeitgenössischer Werke (u.a. von Böcklin, Keller, Stuck und von Uhde) 1913 an das Museum Schöner Künste Budapest, das heute Bestandteil der Ungarischen Nationalgalerie ist. Dort wird es lediglich als „Lilly“ geführt.

Anmerkung: Biographische Daten freundliche Mitteilung von Frau Traude Triebel. Neue Forschungsergebnisse zur Provenienz: freundliche Mitteilung von Frau Bianka Boda, Museum of Fine Arts, Hungarian National Gallery Budapest.

Ausgestellt

1907 Künstlerhaus Wien Herbstausstellung
(KH EL Vol 51 1907/08 #3464).

1908 München Jahresaustellung im Glaspalast.

Literatur

APH, Werksverzeichnis JQA 1995, S. 79, Kat.#48, Abb.#33.

Provenienz

1907-1913 Graf Dénes Andrássy Burg Krásna Hôrka (SK).
1913 per testamentarischer Verfügung an das Museum of Fine Arts Budapest.
Museum of Fine Arts,
Ungarische Nationalgalerie, Budapest. Inv.#299.B

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