Großformatiges Ganzkörperporträt der Schauspielerin Hilde Radnay, halbliegend auf einer Chaiselongue. Ihr Blick ist nach links in die Ferne gerichtet, ihr Gesicht überwiegend im Profil sichtbar, die Lippen leicht gekräuselt. Ihre rechte Hand, dessen Ellenbogen auf einer Ablage mit Dekorgegenständen (Silberpokal, Kassette, Blumenstrauss sowie einer blauen Decke) aufgestützt ist, stützt wiederum ihren leicht nach rechts geneigten Kopf. Die linke Hand ruht in ihrem Schoß. Das linke Bein ist über das rechte gelegt, die Füße kommen nackt am Ende des Gewands zum Vorschein. Radnay trägt einen eher weiten, weißen Kaftan mit goldenen Bordüren an den Rändern, Ausschmückungen auf der Brust und tiefem Ausschnitt. Ihr rechter Arm ist von einem dünnen, durchsichtigen Stoff umgeben.
Hilde Radnay (Lebensdaten unbekannt) war Schauspielerin und hat in den Stummfilmen „Der Millionenonkel“ (Regie Hubert Marischka, 1913), „Der Viererzug“ (Regie Carl Wilhelm, 1917), „Der Mandarin“ (Regie Fritz Freisler, 1918), „Schicksal“ (Felix Basch, 1924), „Gehetzte Menschen“ (Regie Erich Schönfelder, 1924), „Rasputin“ (Regie Viktor Gersik, 1925) und „Eine Dubarry von heute“ (Regie Alexander Korda, 1927) gespielt (Filmographie, Freundliche Angaben von Günter Krenn, Österreichisches Filmmuseum). Sie war Mitglied des deutschen Volkstheaters und an den Wiener Bühnen ab 1911 (Wasagasse 33, 9. Bezirk, Bühnenjahrbuch 1911) tätig. 1918 dürfte Sie einen gewissen Herrn Roth geheiratet haben, da sie ab diesem Zeitpunkt als „Radnay-Roth“ in Lehmanns Wohnungsanzeiger verzeichnet ist (der sie an verschiedenen Adressen in Wien ab 1909 listet). Ihr Ruf scheint nicht unumstritten zu sein, wird sie doch im Adams Ausstellungskatalog von 1986 (Schaffer/Eisenburger, 1986, S.10) als „die nicht ganz so seriöse Hilde Radnay“ bezeichnet. Ihr eher markanter Unterkiefer der auch in Fotografien gut sichtbar ist, hat Adams naturgetreu wiedergegeben. Von Radnay sind eine Reihe von Fotografien in der Österreichischen Nationalbibliothek sowie im Theatermuseum erhalten. Diese sind von unterschiedlichen Wiener Fotograf*innen, angefertigt, darunter auch der berühmten Madame d’Ora (Dora Kallmus), erstmals 1908 (Dr. Moniker Faber, Photoinstitut Bonartes, persönl. Mitt.), s. Querverweise. Letztere pflegte allem Anschein nach gerne mit Hilde Radnay als Mannequin zu arbeiten (Fritz&Tötschinger, 1993).
Die Porträtierte ist aller Wahrscheinlichkeit nach im Atelier des Malers platziert, da einige Accessoires auch in anderen Bildern Adams‘ auffindbar sind: Der silberne Pokal auf der Ablage, ebenso der Blätterkranz darauf und das Kleidungsstück, das Radnay trägt, sind alle auch im Porträt der Schauspielerin Lilly Berger von 1907 präsent (s. Querverweise). Der blaue Stoff der von der Ablage zu Radnays Füßen hängt sowie die darauf liegende Schachtel (die auf den ersten Blick durch den Griff am kurzen Ende einer Fotokamera ähnelt) bilden ein kompositorisches Gegengewicht in der linken Bildhälfte zu Radnays Oberkörper in der rechten. Das Bild ist weiters geprägt durch Kontraste zwischen Vor- und Hintergrund: der Vordergrund und die Dargestellte sind in hellen Tönen ausgefertigt, während der Hintergrund wesentlich dunkler gestaltet ist. Das Licht, das die Schauspielerin von links trifft (und den Schatten des Pokals an die graue Wand wirft), verstärkt die Helligkeit des weißen Kleides und dessen Faltenwurf.
Die Barfüßigkeit und die scheinbar leichte Bekleidung in der Adams Hilde Radnay dargestellt hat ist auffällig und wurde auch von den Zeitgenossen teils als Affront gewertet (so z.B. im Neues Wiener Journal vom 13. November 1910 (S. 20). Vielleicht auch wegen der negativen Kritiken ist das Gemälde in den Einlaufbüchern des Künstlerhauses als unverkauft und als an John Quincy Adams persönlich retourniert angeführt. Der verlangte Preis belief sich auf 12.000 Kronen, was ca. dem Mittelwert der Porträts Adams entspricht und scheinbar auch den Preisen für gefragte Maler allgemein (zum Vergleich: Klimts Portraits schlugen sich etwa mit 10.000 bis 30.000 Kronen zu Buche (Schlögl, 2012, S.51 ff.). Das Bild ist wohl nach der Ausstellung von Unbekannt direkt beim Künstler angekauft worden. Im Dezember 1923 während der Hyperinflation wird das Bild im Auktionshaus S. Kende in Wien um 1,8 Millionen Kronen angeboten. Es wird angenommen, dass das Gemälde anlässlich dieser Auktion Eingang in die Sammlung gefunden hat, in der es sich noch heute befindet.
Katalogeintrag: Dr. Christina Bartosch, recollect, Wien
Ausgestellt
1910 Künstlerhaus Wien, Herbstausstellung (EL 55 1910/11 #2579).
Literatur
APH, Werksverzeichnis JQA 1995, S. 100, Kat.#68,(o.Abb.)
Bühnenjahrbuch 1911. Freundliche Information von Claudia Mayerhofer und Christiane Mühlegger-Hehnhapel, Theatermuseum Wien.
Walter Fritz und Gerhard Tötschinger, Maskerade: Kostüme des österreischen Films, ein Mythos, Wien, 1993.
Schaffer/Eisenburger 1986, Ausstellungskatalog, S.10.
Michaela Schlögl, Klimt mit allen fünf Sinnen, Wien, 2012.
Provenienz
Unbekannt.
21.12.1923: Auktion S. Kende Wien, Los 1, „Porträt einer Dame als Madame Recamier."
Vermutlich von den Vorfahren der heutigen Besitzer dort ersteigert.
Privatsammlung, Wien.