Rudolf Léon Ritter von Wernburg 1913
Halbportrait in leichter Seitenansicht, den Kopf leicht geneigt, den Blick Richtung Betrachter gewandt, diesen aber nicht direkt anblickend. Der Dargestellte trägt kurze Haare und einen Schnauzer, dessen Enden aufgezwirbelt sind; ferner einen braunen Anzug, ein weißes Hemd mit Stehkragen, sowie eine burgunderrote Krawatte. Der Bildhintergrund ist flächig ausgeführt mit von dunkel zu hellbraun changierenden Farbauftrag.
JQAW# P_1913_030
Öl auf Leinwand 71 x 58 cm
Signatur: J. Q. Ɑdams 913
Unbekannter Privatbesitz (Österreich?)
Abbild: Künstlerhaus Archiv Wien
Rudolf "Raoul" Léon Ritter von Wernburg, 11.2.1874 Wien bis 26.11.1942 Theresienstadt (Shoa).
Rudolf/Raoul wurde 1874 in die bedeutende jüdische Industriellenfamilie Leon (auch: Léon) geboren. Deren Wiener Begründer waren die drei Brüder Jacques (1794-1858), August (1785-1841) und Adolf (1797-1851) Löb (später geändert in Leon), die ab 1814 aus dem Elsass nach Wien eingewandert waren und ursprünglich in der Erzeugung von Speiseölen tätig waren. Jacques Löb/Leon hatte sechs Kinder von denen vor allem Gustav (1839-1898) und Julius (1842-1927) Leon, die beide vom Kaiser in den Ritterstand erhoben wurden (Gustav Ritter von Leon, Julius Ritter von Wernburg), als Industrielle und Erbauer repräsentativer Zinspalais an der Wiener Ringstraße bekannt wurden und bleibende Spuren im Stadtbild hinterließen. Gustav von Leon war Gründer eines Großhandelshauses, Politiker (u.a. Reichsratsabgeordneter) und kaufte nach Ende seiner Politikerlaufbahn die Eisen-Gießerei und -Konstruktionsfirma Waagner, die er um das Geschäftsfeld Brückenbau erweiterte. Nach einer Fusion ist die Firma seit 1905 als Waager-Biro v.a. für ihre innovativen Stahlkonstruktionen (u.a. Kuppel des Reichstages in Berlin) weltbekannt. Gustav ließ auch das Palais Schottenring 17 von Heinrich von Ferstel erbauen, heute Sitz der Donau Versicherung. Julius Leon von Wernburg, war Begründer der mechanischen Baum- und Schafwollwarenfabrik in Wernstadt in Böhmen. Er ließ das Palais Leon-Wernburg Linke Wienzeile 36 (Standort des Cafe Savoy), den Herminenhof am Franz-Josefs-Kai (1945 zerstört) und auch das Zinspalais Teinfaltstraße 3 erbauen, Realitäten die im Erbgang an Rudolf/Raoul übergingen und während der Naziherrschaft arisiert, d.h. dem Besitzer entzogen, wurden. Julius erwarb auch das Schloss und landwirtschaftliches Gut Pichl in der Steiermark, wo er sich ab 1913 in den Ruhestand zurückzog und das von seinem Sohn Rudolf/Raoul 1929 verkauft wurde (um laut lokaler oraler Tradition mit dem Erlös sich und seinem Lebenspartner eine Weltreise zu finanzieren.)
Rudolf, der sich bevorzugt Raoul nannte, war der Sohn von Julius Ritter von Wernburg (1842-1927) und Hermine, geb. Pollak von Rudin (1846-1923) und hatte zwei Geschwister: den im Kindesalter verstorbenen Rudolf Jacques (1866-1873), nach dem er benannt wurde, sowie die Schwester Eugenie (1867-1942), die mit dem letzten Eisenbahnminister der Monarchie Dr. Franz von Banhans verheiratet war und ebenso wie Rudolf/Raoul ein Opfer der Shoa wurde.
Rudolfs/Raouls Kindheit und Jugend verliefen ganz in großbürgerlicher Tradition: Ausbildung im elitären Schottengymnasium (wo er bereits 1889 15-jährig aus dem Judentum austrat und sich katholisch taufen lies, ein Schritt dem auch seine Schwester Hermine und später auch seine Eltern folgen sollten), danach Militärdienst als Einjährig Freiwilliger und Abmusterung als Leutnant. (Bildungseliten waren vom 3-jährigen Militärdienst der Monarchie befreit, konnten aber als Einjährig-Freiwillige einen Offiziersrang anstreben und danach entweder aktiv oder in der Reserve dienen, einen Weg, den vor allem Söhne der Aristokratie und des Großbürgertums zahlreich beschritten). Im Gegensatz zu seinem Vater Julius, der bis ins hohe Alter unternehmerisch und als Investor tätig war, hielten sich die unternehmerischen Tätigkeiten von Rudolf/Raoul eher in Grenzen. Lediglich im Zeitraum 1899-1909 scheint er im Lehmann-Addressbuch als Prokurist sowie als Repräsentant der Firmen seines Vaters auf, danach bezeichnete er sich als Leutnant a.D. bzw. als Privater.
Rudolf/Raoul führte also vor allem einen Lebensstil eines reichen Erben. So war er 1901 Gründungsmitglied des elitären Aero Clubs, der sich der Förderung der neuen Luftfahrttechnik verschrieb und trat auch als Kunstförderer auf. Bemerkenswert ist unter anderem ein Ankauf mehrer Gemälde 1893 (wohl zur Feier seiner Matura) über die in der Presse berichtet wurde (Wiener Zeitung 30.11.1893 S.5), unter anderem einen weiblichen Studienkopf von Gustav Klimt, den er um wohlfeile 96 Gulden (rund 200 Kronen oder etwa 1400 Euro) erwarb, und das laut Klimt Datenbank verschollen ist. (Ein weiteres Werk seiner Ankäufe „Helena“ von Franz von Matsch gelangte am 20.11.2006 als Lot 29 bei Sothebys Paris zur Versteigerung. Provenienzangaben bei diesem möglicherweise arisierten Werk fehlten.) 1912 trat Rudolf/Raoul (seinem Vater folgend) als Stifter (mit 6000 Kronen) dem Wiener Künstlerhaus bei. Stifter wurden vom Künstlerhaus mit einem Portrait in der Stiftergalerie geehrt, die von Mitgliedern des Hauses unentgeltlich angefertigt wurden. Das Stifterportrait Rudolf/Raoul Leon von Wernburg wurde bei Adams in Auftrag gegeben und von diesem 1913 angefertigt und zeigt bereits eine modernere Auffassung des Herrenportraits, das traditionell von schwarzen Anzügen und weißen Rauschebärten dominiert wurde (s. Querverweise).
Zum Privatleben von Rudolf/Raoul liegen wenige Informationen vor. Er blieb zeitlebens unverheiratet. Gaugusch (Wer einmal war, Band II, S.1850, 2016) erwähnt einen Lebenspartner: Max Lay (1896-1970), der während des 1. Weltkrieges vom Seeaspiranten (1914), Seekadetten (1916) zum Fregattenleutnant (Datum der Beförderung unbekannt) avancierte und später als Radiosprecher bei der RAVAG und nach 1945 beim Österreichischen Rundfunk arbeitete. Am 19.10.1929 adoptierte Rudolf/Raoul Max Lay, der danach den Namen Max Leon-Wernburg führte. (Dieser verlobte sich 1928 auf Schloss Pichl mit der Schauspielerin Erzi von Zerdahelyi [Neu.Wr.Tagblatt 1.6.1928 S.8; Angaben zur Eheschließung fehlen] und am 2.5.1945 mit Margarete (Gretl) Seidl, 1915-1992, [Gaugusch Band II, S. 1858, 2016]). Max Leon-Wernburg verstarb 1970 ohne direkte Nachfahren.
Das Leben des Rudolf/Raoul (seit 1923) Leon-Wernburg nahm 1938 mit dem Anschluss und dem Beginn der Naziherrschaft eine dramatische Wende. Auch als katholischer Konvertit war er rassisch verfolgt und es ist rätselhaft, warum er nicht ins Exil flüchtete. Er scheint wohl naiverweise auf seine guten Beziehungen und den Status eines „von Wernburg“ vertraut zu haben und blieb auch laut Lehmann bis 1940 im Familienpalais Wienzeile 36 wohnhaft (wohl bis die Liegenschaft pikanterweise von der römisch-katholischen Diözese St. Pölten arisiert wurde) und wohnte laut Nazi Akten danach im Haus Teinfaltstrasse 3 (wohl bei seinem Partner/Adoptivsohn Max Leon-Wernburg, der 1941 bei dieser Adresse aufscheint; die Liegenschaft wurde 1943 zugunsten des Großdeutschen Reichs arisiert, aber 1948 an Max Leon-Wernburg restituiert). 1942 wurde Rudolf/Raoul in eine Sammlungswohnung im jüdischen 2. Bezirk (Tandelmarktgasse) zwangsumgesiedelt und von dort am 13.8.1942 mit dem Transport IV/7 #235 nach Theresienstadt (Terezín) deportiert, wo er am 26.11.1942 (Todesfallanzeige: Darmkatarrh) verstarb. Dass er im Naziregime einen gewissen Sonderstatus genoss erschließt aus der Tatsache dass Rudolf/Raoul nach Theresienstadt (und nicht etwa ins Vernichtungslager Auschwitz) deportiert wurde, dass er in den Akten weiterhin als „von Wernburg“ geführt wurde und besonders bemerkenswert, dass er in einem Grab bestattet wurde. Rudolf/Raoul wurde trotzdem ein Opfer der Shoa. Er ist am Nationalfriedhof bei der Kleinen Festung gemeinsam mit 17 anderen österreichischen Opfern des Nazi-Regimes bestattet (Der Neue Mahnruf 7/8 1962 S.7). Auch Rudolfs Schwester Eugenie, die aufgrund ihrer „Mischehe“ mit dem prominenten Ex-Minister von Banhans einen gewissen Schutz genoss, wurde nach dem Tode ihres Ehemanns (Juli 1942) im gleichen Transport (IV/7) wie ihr Bruder Rudolf am 13.8.1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort kurz nach ihrer Ankunft am 22.8.1942 als Opfer der Shoa.
Ausgestellt
1913 Künstlerhaus Wien (EL 58 1913/14 #3133).
1913-ca.1960 Permanente Ausstellung Stiftergalerie Künstlerhaus Wien ST90 (1960-1991 im Depot).
Literatur
APH Werksverzeichnis S.47, Kat.#16, ohne Abb., dort nicht identifiziert und mit 1905 datiert.
Provenienz
1913 beim Künstler für die Stiftergalerie Künstlerhaus Wien in Auftrag gegeben.
1913-1991 Künstlerhaus Wien.
1991 Verkauf (zusammen mit fast allen Werken der Stiftergalerie) an privaten Kunstsammler in Wien.
2002 Auktion Dorotheum 19.2.2002 Lot 177.
Unbekannter Privatbesitz (Österreich?).